Český a slovenský zahraniční časopis  
     
 

Listopad 2010


231 Tote beim Bezirksamt

Ivan Motýl

Im Park vor dem Bezirksamt in Ostrau liegen in nicht gekennzeichneten Gräbern 231 deutsche Zivilisten. Nach dem Krieg wurden sie von ihren tschechischen „Nachbarn“ zu Tode gefoltert. Die mährisch-schlesische Metropole hat auch ihren Nachkriegsskandal, den sie aber nicht lösen will.

„Von einem Massengrab Ostrauer Deutscher weiß ich nichts. Auf dem Rathaus bin ich bereits zwölf Jahre tätig, und ich kann mich nicht erinnern, dass es sich um so einen Fall gehandelt hätte“, gesteht Milan Weber, der älteste Ratsherr im Ostrauer Magistrat. „Als Bub habe ich etwas über Persekutionen von deutschen Nachbarn gehört. Aber nichts über deren Ermordung“, ergänzt der 1943 geborene Ratsherr.

Aber Ostrau hat auch seinen Nachkriegsskandal. Und zwar einen historisch belegten. Es sieht eher so aus, dass man ihn nicht behandeln will. Während die Brünner Kriminalpolizei neulich die Umstände des 65 Jahre alten Massakers von Deutschen in Dobrenz bei Iglau untersucht, gibt es in Nordmähren nichts, was auf etwas Ähnliches schließen ließe. Die Affäre von Dobrenz hat gezeigt, dass im Massengrab fünfzehn Deutsche liegen, in Ostrau aber ist laut Quellenhinweis die Situation viel tragischer. Direkt im Park vor dem Bezirksamt liegen in der Erde 231 Tote. Auf deren Tragödie macht keine Tafel oder kein Mahnmal die Vorübergehenden aufmerksam, wie es an anderen Stellen des Landes der Fall ist, wie zum Beispiel in Postelberg.

Der Bezirk der Nichtswissenden

Direkt aus dem Fenster des Bezirksamtes schaut der Ostrauer Ratsherr Zdeněk Jirásek, der auch Historiker und Dekan der Philosophisch-naturwissenschaftlichen Fakultät der Schlesischen Universität in Troppau ist, in den Park mit den Gräbern der zu Tode gemarterten Zivilisten. Er lehnt es ab, die Frage nach diesem schmerzhaften Thema telefonisch zu beantworten, ein persönliches Gespräch könne er erst Ende September geben. Für das ehemalige Mitglied der Kommmunistischen Partei der Tschechoslowakei ist das eine komplizierte Frage. In der Vergangenheit wirkte Jirásek am Schlesischen Institut des Schlesischen Landesmuseums, das mit Mitarbeitern des sich „dem deutschen Revanchismus“ widmenden Staatssicherheitsdienstes vollgespickt war. Der dortige Agent des Staatssicherheitsdienstes Dan Gawrecki hat jedoch auch nach 1989 unter Jirásek viele Jahre das historische Institut der neu errichteten Schlesischen Universität geleitet.

„Wenn ich Ratsherr im Bezirksamt wäre, würde ich mich beim Blick aus dem Fenster wenigstens schämen. Dabei könnte das Problem durch ein kleines Denkmal gelöst werden“, denkt für die deutsche Minderheit Hans Mattis, der ab Oktober Vorsitzender der Landesvertretung der Deutschen wird, dem höchsten Organ der bestehenden vierzig Tausend Mann zählenden deutschen Minderheit in Böhmen, die erreichen will, dass der Ort zumindest würdevoll gekennzeichnet wird.

Im Schatten der Nacht

Die ermordeten Deutschen wurden im Park (früher war das der städtische Friedhof) heimlich an der Friedhofsmauer im Schatten der Nacht begraben. „Wir haben Kontakt mit einem Zeugen, der die Toten in die Gruben werfen musste“, behauptet Mattis. Der für die deutsche Minderheit tätige Mattis verfügt über weitere Beweise von der Existenz der Gräber. So ein von einem vertriebenen Deutschen angefertigter Plan von der Begrabungsstätte. „Anhand der Zeichnung forschte an Ort und Stelle auch der Kasseler Verein, der sich um Gräber von Soldaten kümmert“, erklärt Mattis. Der Verein kann allerdings keine Gräber von Zivilisten exhumieren. Ein internationales Abkommen genehmigt nur, dass sich der Verein um uniformierte Opfer kümmert (kürzlich errichtete er einen deutschen Militärfriedhof in Eger).

„Mit den Nachkriegsopfern müssen die Tschechen selbst fertig werden“, meint Mattis. „Glücklicherweise kümmern sich um die Exzesse immer mehr junge Leute“, erinnert er an den Iglauer Journalisten, der im Sommer die Untersuchung des Falles in der Gemeinde Dobrenz (Dobronín) anregte. „In Ostrau würde es vorderhand reichen, wenn die Hunde auf den Gräbern nicht ihre Geschäfte erledigen würden. Eine Informationstafel, ein Zaun, das sind Investitionen für ein paar Tausend Kronen“, appelliert Mattis an die Stadt und den Bezirk.

Mattis ist nicht der erste, der sich für den Fall interessiert. Vor einigen Jahren war es Walter Moller, einer der letzten Deutschen in Ostrau. Sein Vater war Schuldiener im Mädchengymnasium, der sich angeblich nicht für Politik interessierte, trotzdem wurde er kurz nach dem Krieg im Lager ermordet und an der Friedhofsmauer vergraben, was später ein Park wurde. Mollers Sohn plante ein Strafverfahren, das die Kriminalisten zur Exhumierung der Gräber und zur Aufklärung des Verbrechens veranlassen sollte. „Leider ist Herr Moller gestorben und konnte so das Strafverfahren nicht mehr anstoßen. Aber vielleicht machen wir es bald an seiner Stelle“, verspricht Mattis.

Ein sadistischer Masseur

Die Exhumierung der Körper aus den Massengräbern sollten die im Archiv erhaltenen Fakten bestätigen. Dort wird bestätigt, dass vom 18. Mai bis Ende Juni 1945 an deutschen Zivilisten im Ostrauer Hanke-Internierungs-Lager richtige Bestialitäten verübt wurden. Die Ermittler der Revolutionären Garden organisierten massenhafte Vergewaltigungen der Insassen oder Folterungen mit elektrischem Strom. Die Internierten wurden gezwungen, an den Sexorgien teilzunehmen, bei lebendigem Leibe wurden ihnen die goldenen Zähne herausgerissen, Finger und Rippen gebrochen, wonach sie dann durch Erhängen, Erschießung oder durch Erschlagen mit dem Hammer hingerichtet wurden. An den Hinrichtungen beteiligte sich paradoxerweise auch Heinrich Gloss, ein ehemaliger Masseur aus den Wietkowitzer Eisenhüttenwerken und Mitglied der faschistischen SA. Häufig mussten sich jedoch auch die Häftlinge untereinander töten.

„Die Stelle auf der Erde begoss ich mit Wasser, der Hinzurichtende zog sich nackt aus und legte sich auf die Erde. Ich befestigte ihm einen Draht am Kopf und hinter den Ohren. Die Haut begann zu schmoren, den Tod hat dies aber nicht ausgelöst. Als er zu sich kam, wurde er aufgehängt“, beschrieb einen Mord direkt der Henker Gloss. Das Dokument fand im Archiv des Innenministeriums der Historiker Mečislav Borák und veröffentlichte es bereits im Jahr 1997 in einem Archivsammelband zusammen mit dem Verzeichnis der 231 zu Tode gefolterten Ostrauer Zivilisten. Die drastischen Fakten gelangten jedoch bis heute nicht aus der Fachpublikation bis zu den Ostrauer Politikern, zur Polizei und an die Öffentlichkeit. Ostrau will von den Morden an den Nachbarn einfach nichts hören.

(Wörtliche Übersetzung aus dem auflagenstarken tschechischen Wochenmagazin TÝDEN, Ausgabe vom 27. 9. 2010, S. 12-13, aus dem Tschechischen übersetzte Mathilde Najdek)



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